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  • AutorenbildMichael Wälti

#Sofagate: Erdogan pfeift auf die Emanzipation

Aktualisiert: 25. Apr. 2023

Recep Tayyip Erdoğan machte gestern deutlich, was er von Frauen als Führungspersonen hält. Er liess Ursula Von der Leyen auf dem Sofa Platz nehmen, während ihr Kollege Charles Michel auf dem Sessel neben ihm sitzen durfte. Von der Leyens "Ehm?!" ging sofort viral. Hier eine kurze Analyse, was auf der Ebene des Nonverbalen ablief. Das Video unterstreicht geradezu, wie bedeutsam die nonverbale Kommunikation ist. Schaut es euch hier an.




Beim Foto-Moment vor dem Präsidentschaftspalast (00:17) sehen wir folgendes Bild:


Wir sehen drei verschiedene Stände und Posen. Michel, Präsident des Europäischen Rates, steht schmal mit ausgedrehten Beinen. Die Ausdrehung der Beine (Fussspitzen zeigen nach aussen) bewirkt, dass er trotz des schmalen Standes selbstsicher wirkt. Seine Arme hängen gerade herunter, wie das bei politischen Fotos üblich ist. Daneben sehen wir Erdoğan, der mit seinem breiten Stand dominant wirkt. Seine Arme hängen ebenfalls herunter und zeigen so eine offene Körpervorderseite. Dass er in der Mitte steht, verstärkt seine Dominanz – wie bei einem olympischen Podium. Beide sind frontal den Kameras zugewandt.


Von der Leyen, Präsidentin der europäischen Kommission, steht nicht ganz den Kameras zugewandt, sondern dreht sich leicht zu Erdoğan. Ihre Intention könnte sein, dass sie eine Verbindung zu Erdoğan zeigen möchte und eine Bereitschaft zur Kommunikation, gelesen könnte es tendenziell aber als "Ich wende mich der mächtigeren Person zu". Weiter nimmt sie einen sehr schmalen Stand ein: Sie beansprucht wenig Territorium für sich. Vielleicht wollte sie mit dem schmalen Stand respektvoll wirken? Drittens faltet sie ihre Hände vor ihrem Bauch: Das verdeckt die verletzlichen Bauchraum-Organe (wirkt schützend), weshalb es einen leicht defensiven Eindruck hinterlassen kann.


Körpersprach-Tipp: When in Rome, do like the Romans. Als Politiker*in am besten gerade zur Kamera hinstellen, die Arme hängen lassen und hüft- bis schulterbreit stehen.


Um 00:47 im Video passiert das Unfassbare: Die Präsidentin der Europäischen Kommission darf sich nicht neben Erdogan setzen, sondern muss weit abseits auf dem Sofa platznehmen. Charles Michel, der politisch gesehen einen höheren politischen Rang als Von der Leyen hat, setzt sich hingegen neben Erdogan. Eine Demütigung, die Sie mit dem jetzt berühmten"Eehm..." kommentiert. Dieser leise Ausruf ist in diesem Moment Ausdruck menschlicher Ur-Ängste: Werde ich akzeptiert? Bin ich gleichwertig? Werde ich ausgeschlossen? Es kommt zu folgendem Bild.


Könige sitzen auf dem Thron. Alle anderen an den Seitenrängen. Wir sehen in dieser Situation das Gefälle der Macht in verschiedenen Bereichen: Erstens sitzen Von der Leyen und der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu tiefer als die beiden anderen Herren, zweitens sitzen Michel und Erdogan nahe bei den Flaggen (repräsentieren diese dadurch), und drittens sind Michel und Erdogan frontaler zur Kamera, wirken dadurch zentraler. Ein Sofa wirkt zusätzlich informell: Es steht für Komfort, Ausruhen und nicht für Arbeit. Somit wird Von der Leyen die Funktion als Entscheidungsträgerin aberkannt und sie wird auf das Level eines Aussenministers degradiert.


Brisant: Als Erdogan 2017 Donald Tusk und Harald Junker empfangen hat, sassen sie alle auf gleicher Augenhöhe. Junker hatte damals den gleichen Rang wie Von der Leyen heute: Präsident der Europäischen Kommission.


Erdogan macht deutlich: Er hält nichts von Frauen mit hohem politischem Rang. Bei ihm machen Männer Politik. Ich habe volle Empathie mit von der Leyen, der Druck auf Politiker*innen ist unglaublich hoch. Ich würde also nie erwarten, dass jemand folgendes tun würde, aber stellt euch vor, Von der Leyen hätte sich geweigert, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und einen Stuhl verlangt. Das wäre in die Geschichte eingegangen.


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Quellen (7.4.2021):


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